Frankreich zwingt VPNs, den Zugang zu Piraterie-Websites zu blockieren
Wenn wir an den Druck auf Datenschutz-Tools wie VPNs oder alternative DNS-Anbieter denken, die dabei helfen, unseren Datenverkehr vor neugierigen Blicken zu schützen, denken viele oft an Länder, in denen die Freiheit stark eingeschränkt ist — wie Iran, China oder Russland.
Aber diese Sichtweise zeigt nur einen Teil der Geschichte. Auch europäische Länder, in denen Datenschutz und Datensicherheit gesetzlich geschützt sind — vor allem durch die DSGVO — üben immer häufiger Druck auf VPN- und DNS-Anbieter aus, um den Zugang zu bestimmten Domains zu blockieren.
Ein aktuelles Beispiel ist Frankreich, wo kürzlich mehrere bekannte VPN-Anbieter erstmals dazu verpflichtet wurden, den Zugang zu über 200 Domains, die mit Piraterie in Verbindung stehen, zu blockieren.
Was ist passiert
Am 15. Mai erzielten der französische Fernsehsender Canal+ und die Ligue de Football Professionnel (LFP) — die französische Fußballliga — einen wichtigen Sieg, als das Pariser Gericht gegen mehrere bekannte VPN-Anbieter entschied. Das Urteil verpflichtet diese, den Zugang zu 203 Domains zu blockieren, die mit illegalen Sport-Streams (vor allem Fußball und Rugby) in Verbindung stehen — und zwar innerhalb von drei Tagen nach Inkrafttreten der Entscheidung.
Betroffen sind einige der größten VPN-Anbieter der Branche: NordVPN, CyberGhost, Surfshark, ExpressVPN und ProtonVPN.
Nach dem Urteil gab Canal+ eine Erklärung ab, in der die Entscheidung als „ein starkes Signal für die Verantwortung im Umgang mit illegalen Sport-Übertragungen“ bezeichnet wurde.
Besonders besorgniserregend ist, dass VPNs zum ersten Mal offiziell als „technische Intermediäre“ eingestuft wurden — was bedeutet, dass sie nicht mehr nur als neutrale Datenschutz-Tools gelten, sondern eher wie Sender oder Plattformen behandelt werden. Diese Veränderung könnte weitreichende Folgen haben und ist keineswegs positiv, wenn es darum geht, wie die Gerichte in Zukunft VPNs sehen könnten.
Eine laufende Kampagne
Canal+ hat nicht nachgelassen und setzt weiterhin auf die Idee, dass jeder Dienst, der lediglich eine Verbindung ermöglicht, für das verantwortlich gemacht werden sollte, was diese Verbindung zur Folge hat — einschließlich Urheberrechtsverletzungen. Zunächst konzentrierte man sich auf das einfachste Ziel: die Internetanbieter (ISPs). Diese wurden gezwungen, bestimmte Domains zu blockieren.
Letztes Jahr richtete Canal+ seinen Fokus auf alternative DNS-Anbieter. Dazu gehören Google, Cloudflare, Cisco, Quad9 und Vercara. Ein Nebeneffekt dieser Kampagne war, dass Cisco’s OpenDNS, einer der weltweit meistgenutzten alternativen DNS-Anbieter, seinen gesamten Dienst in Frankreich aussetzte. Dies war offenbar ein Akt des Widerstands.
Und es geht nicht nur um Canal+. Auch französische Gerichte haben bereits in ähnlichen Fällen zugunsten von anderen Rundfunkanstalten entschieden.
Pirateriebekämpfung darf nicht die Prinzipien eines freien Internets gefährden
Bei AdGuard sind wir besorgt über den wachsenden Trend in Europa, Inhalte-neutrale Dienste zu bestrafen.
VPNs sind keine Tools für Piraterie — sie sind Technologien, die entwickelt wurden, um die digitalen Rechte der Menschen zu schützen. Die Kernwerte von VPN-Diensten — Sicherheit, Anonymität und Internetfreiheit — dürfen nicht im Namen des Kampfes gegen illegale Streams geopfert werden. Das jüngste Gerichtsurteil in Frankreich droht genau das zu tun und setzt einen gefährlichen Präzedenzfall.
— Denis Vyazovoy, CPO von AdGuard VPN
AdGuard ist mit dieser Sorge nicht allein. Auch andere große Akteure der VPN-Branche haben ähnliche Warnungen ausgesprochen. Surfshark, einer der im französischen Urteil genannten Anbieter, erklärte, dass das Unternehmen den rechtlichen Prozess respektiere, jedoch derzeit alle verfügbaren Optionen prüfe, einschließlich einer möglichen Berufung.
„Die Verpflichtung, dass Intermediäre Inhaltsbeschränkungen umsetzen, wirft kritische Fragen zur Meinungsfreiheit, Verhältnismäßigkeit und dem Schutz der Nutzerrechte auf“, sagte Surfshark in einer Erklärung, wie von Tom’s Guide berichtet.
Kritik aus der Internet-Community: „Fehlplatzierte Verantwortung“
Diese Bedenken kommen nicht nur von VPN-Anbietern selbst. Die Internet Infrastructure Coalition (i2Coalition) — eine Interessenvertretung führender Technologieunternehmen, darunter Cloudflare, NordVPN, Surfshark und Squarespace – kritisierte das Urteil als unverhältnismäßig und kontraproduktiv.
Dieser Blockierungsansatz, der bereits in der Vergangenheit gescheitert ist, setzt auf grobe technische Instrumente statt auf präzise Vollzugsmaßnahmen, um die tatsächlichen Quellen der Piraterie anzugehen. Daher wird er Urheberrechtsverletzungen nicht verringern, sondern nur weitreichende Kollateralschäden verursachen.
— Erklärung der i2Coalition
Laut der Gruppe könnte die Verantwortung von VPN-Anbietern dazu führen, dass ethische und transparente Dienste aus dem französischen Markt gedrängt werden. Dieser leere Raum könnte dann von zweifelhaften, unregulierten Alternativen ausgefüllt werden, was die Nutzer:innen Sicherheits- und Datenschutzrisiken aussetzt.
Ihre Untergruppe, die VPN Trust Initiative (VTI), ging weiter, um die Gefahren solcher weitreichenden Entscheidungen zu erläutern. Sie warnten, dass solche Maßnahmen erhebliche Risiken mit sich bringen, darunter:
-
Overblocking: Das Blockieren von gemeinsamen IPs oder Domains kann unbeabsichtigt zahlreiche legitime Dienste beeinträchtigen
-
Internetfragmentierung: Nationale Firewalls und isolierte DNS-Systeme gefährden die globale Kohärenz des Internets
-
Kollateralschäden: Cloud-Plattformen, kleine Unternehmen und Websites könnten finanziellen und operativen Schaden erleiden
Nicht nur Frankreich: Italien erweitert Piraterie-Kontrollen auf VPNs und DNS
Frankreich ist nicht allein, wenn es darum geht, den Druck auf die Internet-Infrastruktur zu erhöhen. Anfang 2024 startete Italien das Piraterie-Schutzsystem „Piracy Shield“, ein Echtzeit-Benachrichtigungssystem, das ISPs verpflichtet, unautorisierte Livestreams innerhalb von 30 Minuten nach einer Warnung zu blockieren. Im Februar dieses Jahres erweiterte die italienische Internetaufsichtsbehörde den „Piracy Shield“ auf VPNs, öffentliche DNS-Anbieter und Suchmaschinen. Zudem wurden die Blockierungsbefehle auf weitere Live-Inhalte ausgeweitet, nicht nur auf Sportübertragungen.
Diese verschärfte Kontrolle über Dienstanbieter signalisiert einen breiteren europäischen Trend, neutrale Infrastrukturen als Schuldige zu behandeln. Dies könnte den fundamentalen Aufbau des Internets gefährden, um ein einziges Problem zu lösen.
Unser Fazit
Das Urteil in Frankreich könnte einen Wendepunkt in der globalen Debatte darüber darstellen, wie weit Regierungen im Namen des Schutzes geistigen Eigentums gehen dürfen. Während der Schutz der Rechteinhaber wichtig ist, muss der Ansatz ausgewogen sein. VPNs, die wesentliche Tools für Privatsphäre und freie Meinungsäußerung sind, sollten nicht einfach als Enabler der Piraterie betrachtet werden.
Es ist wichtig zu bedenken, dass weder VPNs noch DNS-Anbieter Piraterie oder andere illegale Aktivitäten fördern. Die Verantwortung liegt bei den Nutzer:innen, sicherzustellen, dass sie diese Tools im Einklang mit den Gesetzen ihres jeweiligen Landes verwenden.